Artículo
NUSO Nº Januar 2012

Rohstoffreichtum: der Fluch der Demokratie

Die Länder, die reich an natürlichen Ressourcen sind und deren Volkswirtschaften hauptsächlich von deren Ausfuhr leben, tun sich in ihrer Entwicklung besonders schwer: Geringes Wachstum, große Armut und eine weit auseinanderklaffende soziale Schere sind nur einige ihrer Probleme. Neben einem niedrigen Entwicklungsstand weisen diese Gesellschaften oft paternalistische und klientelistische Strukturen und einen Mangel an demokratischer Kultur auf. Dieser Beitrag geht auf den »Fluch der natürlichen Ressourcen« und dessen wirtschaftliche und politische Auswirkungen ein. Für einen Ausweg, so wird argumentiert, ist eine Gesamtstrategie erforderlich, mit der die extraktive Wirtschaft (schrittweise) überwunden werden kann.

Rohstoffreichtum: der Fluch der Demokratie

Die Geschichte des Erdöls ist eine Folge von Kriminalität, Korruption, roher Machtausübung und offenbart die übelste Seite des grenzüberschreitenden Kapitalismus. Michael J. Watts

Eine doppelte Gefahr

Obwohl es auf den ersten Blick wenig glaubwürdig erscheint, beweisen Gegenwart und Erfahrung, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Armut und einem hohen Vorkommen an natürlichen Ressourcen gibt. Daraus lässt sich ableiten, dass die Länder, die über einen großen Reichtum an natürlichen Rohstoffen verfügen und deren Volkswirtschaften hauptsächlich vom Rohstoffabbau und der Ausfuhr leben, sich in ihrer Entwicklung besonders schwer tun. Insbesondere Länder mit einem hohen Vorkommen eines oder einiger weniger Primärprodukte scheinen zu einem niedrigen Entwicklungsstand verdammt zu sein.

Solche Länder befinden sich in einem Dilemma, das in der Fachliteratur als »Paradox des Überflusses« oder »Fluch der natürlichen Ressourcen« bezeichnet wird. Einige Autoren nehmen dieses Phänomen als einen tropischen Fatalismus (beinahe) hin1: Die Interamerikanische Entwicklungsbank (Inter-American Development Bank, IADB) spricht beispielsweise in ihren Jahresberichten und technischen Untersuchungen von:

einem geografischen Determinismus der Entwicklung: Die in Bezug auf natürliche Ressourcen reichsten und näher am Äquator liegenden Länder sind zu stärkerer Unterentwicklung und mehr Armut verurteilt (...) Es lässt sich ein tropischer Fatalismus erkennen, der die äquatornahen Nationen in der Armut gefangen hält. Laut IADB scheint die Entwicklung eines Landes umso langsamer und die interne Ungleichheit umso größer, je reicher es an natürlichen Ressourcen ist.

Bei einem solchen geografischen und ökologischen Determinismus bleibt nur noch die Resignation. Dennoch sieht die IADB eine Lösung: Der Ausweg liege, so fasste es Eduardo Gudynas zusammen, im Markt und der weiteren Vertiefung der neoliberalen Reformen. Zweifellos gehen hier Kühnheit und eine gehörigen Portion Unkenntnis Hand in Hand mit Anmaßung und einem gezielten Erinnerungsschwund.

Obwohl die südasiatischen Länder die »Ausnahme« von der Regel sind, haben die IADB und ihr nahestehende Interessenkreise eine noch weitaus schlimmere Gefahr »heraufbeschworen« als die im Überfluss vorhandenen natürlichen Ressourcen: eine Ideologie, mit der man sich die Einhaltung der marktzentrierten Wirtschaftspolitik sichern will. Die Anhänger des neoliberalen Glaubens streben danach, die von den Machtzentren ausgehende Ideologie der Ausbeutung (des Menschen und der Natur) zu verankern; es handelt sich um eine Ideologie, die den Konsum zum Ideal erhebt, den Markt als einziges Instrument für den sozioökonomischen Ausgleich zulässt und Ausbeutung wie auch Beherrschung zur alleinigen Daseinsform berechtigt.

Diese beiden Gefahren können überwunden werden.

Folgen des Rohstoffreichtums

Die Art des Abbaus und der Nutzung der Ressourcen sowie die Form der Verteilung ihrer Gewinne haben zu einer Generalisierung von Armut und wiederholten Wirtschaftskrisen geführt sowie die »Rentier-Mentalität« gefördert. Diese Faktoren vertiefen die Fragilität der ohnehin schwachen demokratischen Institutionalität, begünstigen die Korruption und schaden der Umwelt. Die an den Tag gelegten klientelistischen und patrimonialistischen Praktiken behindern den Aufbau einer Staatsbürgergesellschaft .

Die für die Rohstoffexportländer charakteristische hohe Verfügbarkeit an natürlichen Ressourcen führt dazu, die Wirtschaftsstruktur und die Zuweisung der Produktionsfaktoren zu verzerren, die Einkommen regressiv zu verteilen und den Reichtum auf Wenige zu konzentrieren. Dies wird durch einige innergesellschaftlich verursachte »pathologische« Prozesse, die mit dem Überfluss an natürlichen Ressourcen einhergehen, zusätzlich verstärkt.

Die durch Erdöl, Kohle und Bergbau lockenden hohen Gewinne sind einer der Hauptanreize, das Modell der rohstoffexportierenden Volkswirtschaft mit all ihren Folgen aufrechtzuerhalten und zu unterstützen. Die unter dem Druck der alltäglichen Probleme stehenden Regierungen versuchen insbesondere in Krisenzeiten ihre Einkommen durch eine verstärkte Ausbeutung der Naturressourcen zu steigern. Dabei hoffen sie, lange aufgeschobene soziale Forderungen erfüllen und gleichzeitig, auch durch Klientelismus oder Autoritarismus, ihre Macht stärken zu können.

Laut Fernando Coronil kommt in solchen Fällen eine Art »magischer Staat« zum Vorschein, der die Fähigkeit besitzt, »Wunder« zu bewirken2. Die enormen Einnahmen aus den Erdöl- oder Bergbau-Exporten erleichtern die Finanzierung von Projekten und Bauvorhaben, mit denen Regierungen, die sich oft als Inkarnation des kollektiven Willens verstehen, beabsichtigen, den Sprung in die ersehnte Modernität zu beschleunigen.

Diese Modernität wird jedoch flüchtig sein. Die Realität einer auf der Ausfuhr von Primärprodukten basierenden Volkswirtschaft, d. h. einer Volkswirtschaft, die Natur exportiert, ist durch ein mangelndes Interesse an Investitionen im Binnenmarkt gekennzeichnet, wobei die Größe des Marktes durch die geringe Zahl von Personen mit reeller Kaufkraft begrenzt ist. Dies führt zu einer eingeschränkten Integration des Exportsektors in den nationalen Produktionssektor. Es bestehen keine Anreize für die Entwicklung und Diversifizierung der Produktion, um diese in die Exportprozesse einzubinden, die ihrerseits die natürlichen Ressourcen in Güter mit einer höheren Wertschöpfung verwandeln müssten.

Tatsächlich hat diese Verkettung, wonach aus dem Abbau von Rohstoffen neue produktive Zweige entstehen, bisher nicht stattgefunden und wird in absehbarer Zukunft auch nicht stattfinden. Die Entwicklung von produktiven Konglomeraten für den Binnenmarkt sowie die Erweiterung und Verbesserung der Qualität des exportierbaren Angebots ist sehr beschränkt. Das Modell führte weder zu einer besseren Verteilung der Einkommen noch zu den notwendigen Staatseinnahmen, die zur Konsolidierung der internen Märkte und der Demokratie selbst erforderlich sind. Und nicht nur das: Diese extrem exportorientierte Art des Abbaus stärkt ein vom Ausland abhängiges Modell, das die eigenen regionalen Kulturen und Stärken schwächt oder verdrängt.

Diese Situation lässt sich durch die verhältnismäßig mühelose Nutzbarkeit der großzügigen Natur und der billigen und oft unterwürfigen Arbeitskräfte leicht erklären. Der Löwenanteil des Profits einer derart ausgerichteten Volkswirtschaft kommt den reichen, Naturressourcen importierenden Ländern zugute, die durch Weiterverarbeitung und Handel mit den Endprodukten zusätzlichen Nutzen ziehen. Die rohstoffexportierenden Länder hingegen, die nur eine minimale Beteiligung an den Gewinnen aus dem Bergbau oder der Erdölförderung erhalten, müssen darüber hinaus noch die Umweltbelastungen und die sozialen Verbindlichkeiten tragen. Wenn man jedoch die sozialen sowie die Umwelt- und Produktionskosten, die durch die Erdölförderung und den Bergbau entstehen, mit kalkuliert, wird schnell deutlich, dass unterm Strich viele der wirtschaftlichen Vorteile wegfallen3.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen und Tendenzen sollte das Problem der nicht erneuerbaren natürlichen Ressourcen betrachtet werden. Durch Raubbau wird die Erneuerung vieler eigentlich erneuerbarer Ressourcen, wie zum Beispiel des Waldes oder der Fruchtbarkeit des Bodens, verhindert, da diese viel schneller abgebaut werden, als sie sich auf natürliche Weise erneuern können. Die heutige Abbaugeschwindigkeit ist aber nicht nur problematisch für die erneuerbaren, sondern betrifft sämtliche natürliche Ressourcen. Hinzu kommt, dass häufig durch die von Bergbau- oder Erdölunternehmen in große Waldgebiete geschlagenen Breschen weitere Abbaumöglichkeiten, wie zum Beispiel fuer die Holzwirtschaft, entstehen. Diese verursachen ihrerseits große ökologische und soziale Probleme.

Die massive Konzentration der Gewinne auf einige wenige wirtschaftliche Gruppen ist ebenfalls zu berücksichtigen. Diese mächtigen, von der Rendite getriebenen, exportierenden Sektoren und weite Teile der Unternehmerschaft finden keine Anreize für Investitionen in den heimischen Markt (und schaffen diese auch nicht selbst). Sie ziehen es vor, den Konsum von importierten Gütern zu fördern und schaffen ihre Gewinne oft ins Ausland. Viele betreiben ihre Geschäfte außerdem über Unternehmen in Steuerparadiesen. Folglich besteht auch kein Ansporn oder kein Druck zur Investition der erzielten Gewinne in die eigenen Exporttätigkeiten. Der Wettbewerbsvorteil beruht schließlich allein auf dem Reichtum der Natur und nicht auf den Innovationsbestrebungen des Menschen. Als Antwort auf die steigende Nachfrage oder gar auf den Preisfall solcher Ressourcen auf dem Weltmarkt wurden die Produktionszonen erweitert; eine Tatsache, die die Probleme nur vergrößert.

Die Abhängigkeit von den ausländischen Märkten ist, auch wenn dies paradox erscheint, in Krisenzeiten noch stärker. Alle oder fast alle Länder, deren Volkswirtschaften eng mit dem Export von Primärressourcen verknüpft sind, sehen sich in Krisenzeiten gezwungen, die Abbaurate ihrer Bodenschätze zu erhöhen und mit zunehmender Verantwortungslosigkeit die massiven Umweltbeeinträchtigungen hinzunehmen. Diese Realität begünstigt schließlich die Industrieländer: Ein größeres Angebot an Rohstoffen – Erdöl, Mineralien oder Nahrungsmittel – in Zeiten mit höherem Preisdruck verursacht eine starke Preissenkung. Dieses als »Verelendungswachstum« bekannte Phänomen, das Jagdish N. Baghwati schon 19584 beschrieben hatte, wiederholt sich immer dann, wenn die internationalen Preise fallen5. Besorgniserregend ist, dass die Rohstoffexportländer trotz langjähriger und sich wiederholender Erfahrungen bisher unfähig waren, die Mengen und Preise zu steuern. Eine Ausnahme bildet bei allen Einschränkungen und Widersprüchen, die sich in ihrem Handeln konstatieren lassen, die Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC).

Die oben beschriebenen Bedingungen führen in eine Sackgasse. Es ist nicht vertretbar, dass Produktionsländer von Primärgütern in ihrem Wachstum von einer hoffentlich ausreichenden und anhaltenden internationalen Nachfrage abhängen. In extraktiven Volkswirtschaften mit einer hohen Nachfrage nach Kapital und Technologien, die letztlich einer Enklaven-Mentalität folgen (d.h. ohne einen Ansatz, die Exportwirtschaft mit binnenmarktorientierten Wirtschaftszweigen zu verbinden), bleibt der Produktionssektor den Launen des Weltmarktes ausgesetzt.

Die realle Kontrolle der nationalen Ausfuhren liegt in den Händen der Industrieländer, auch dann, wenn die extraktiven Tätigkeiten keine bedeutenden Auslandsinvestitionen aufweisen. Fatalerweise scheinen viele staatliche Unternehmen (mit der Zustimmung der jeweiligen Regierungen) ausschließlich auf Impulse aus dem Ausland zu reagieren und verhalten sich auf dem Binnenmarkt im Grunde wie transnationale Unternehmen: mit Raubbau an der Umwelt und sozialer Ungerechtigkeit. Letzlich ist die Entwicklung dieser Rohstoffexportländer durch einen von der externen Nachfrage stimulierten und ihr untergeordneten Produktionssektor geprägt.

Aufgrund dieser Bedingungen und der im Erdöl- und Bergbausektor eingesetzten Technologien sind Arbeitsplätze Mangelware. Diese Faktoren erklären auch den Widerspruch, dass in Ländern, die reich an Rohstoffen sind, ein großer Teil der Bevölkerung dennoch in Armut lebt. Die Bewohner der vom Rohstoffabbau betroffenen Gebiete leiden unter den negativen sozioökologischen Auswirkungen infolge des Abbaus. In Ecuador zum Beispiel herrschen gerade in den erdölfördernden Provinzen im Amazonas enorme Umweltprobleme und folglich größte Armut.

Das Elend in der breiten Bevölkerungsschicht scheint daher zwangsläufig mit dem Vorkommen enormer Mengen an natürlichen Ressourcen einherzugehen. Dieses Modell des Rohstoffabbaus ist nicht auf den Binnenmarkt angewiesen und braucht diesen auch nicht, da es mit Lohnminderung funktioniert. Der soziale Druck, um die Unternehmen zur Reinvestition in Produktivitätsverbesserungen zu verpflichten, ist zu schwach. Die Rentenökonomie bestimmt die Produktivität und somit auch die übrigen sozialen Beziehungen. Folglich fördern die extraktiven Tätigkeiten – im Erdöl- oder Bergbausektor – klientelistische Beziehungen, die den Interessen der transnationalen Unternehmen zugute kommen, aber die Umsetzung von adäquaten Entwicklungsplänen verhindern.

Im Allgemeinen genießen ausländische Unternehmen vorteilhafte Rahmenbedingungen und nicht selten nehmen ihre eigenen Führungskräfte oder ihre Anwälte Schlüsselstellungen in den Regierungen ein. Auf diese Weise und mit der Unterstützung von Heerscharen von Anwälten und mitunter der großen Medienkonzerne können sie direkten Einfluss auf politische Maßnahmen oder Rechtsreformen nehmen. Diese Situation wiederholte sich in den Erdöl- und Bergbausektoren Lateinamerikas wieder und wieder - bestärkt durch Organisationen wie die IADB und Pendants wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds.

Alles in allem waren die Rohstoffexportländer nicht dazu in der Lage, ein Entwicklungsmodell zu errichten, das die Armutsfalle und den Autoritarismus überwindet. Das große Paradox ist also, dass es Länder gibt, die trotz ihres Reichtums an natürlichen Ressourcen und mitunter auch bedeutender finanzieller Einnahmen keine Grundlagen für ihre Entwicklung schaffen und weiterhin arm bleiben. Demzufolge sind sie arm, weil sie reich an natürlichen Ressourcen sind. Sie setzen ihre Prioritäten auf den Abbau dieser Naturschätze für den Weltmarkt und drängen damit andere Formen der Wertschöpfung, die stärker auf menschlicher Anstrengung als auf der Großzügigkeit der Natur beruhen, an den Rand.

Die oben erläuterten Aspekte sind Teil des »Neoextraktivismus« des 21. Jahrhunderts. Die Politik der progressiven Regierungen Lateinamerikas lassen sich nach Eduardo Gudynas wie folgt einordnen:

- Die extraktiven Sektoren sind weiterhin eine wichtige Säule der unterschiedlichen Entwicklungswege.- Der Progressismus in Südamerika erzeugt einen neuen Extraktivismus.- Der Staat hat eine stärkere Präsenz und nimmt direkt und indirekt eine aktivere Rolle ein.- Der Neoextraktionismus verfolgt einen internationalen, der Globalisierung des Handels und der Finanzen untergeordneten und ihr dienenden Ansatz. - Die Landzerstückelung schreitet weiter voran, mit Enklaven, die der Belieferung des Weltmarktes dienen.- Regeln und produktive Verfahren orientieren sich an Wettbewerbsfähigkeit, Leistungsfähigkeit, Maximierung der Rendite und Auslagerung der Auswirkungen.- Die sozialen und ökologischen Auswirkungen der extraktiven Sektoren bleiben und haben sich in einigen Fällen verschlimmert.- Der Staat behält einen größeren Anteil der durch die extraktiven Sektoren gewonnen Überschüsse ein (bzw. versucht es) und finanziert mit einem Teil dieser Einnahmen soziale Programme; dadurch verschafft sich der Staat Anerkennung. - Einige Widersprüche der extraktiven Wirtschaftsform werden aufgehoben; sie wird für die Bekämpfung der Armut und Förderung der Entwicklung als unentbehrlich dargestellt.- Der »Neoextraktivismus« ist Teil einer zeitgenössischen Version der als Desarrollismo bekannten südamerikanischen Entwicklungsideologie, wonach sich der Mythos des Fortschritts durch eine neue kulturelle und politische Hybridisierung aufrechterhält6.

Der Streit um die Gewinne

Zum Rohstoffreichtum gesellt sich oftmals ein weiteres Übel – der Autoritarismus. Die massive Ausbeutung der nicht erneuerbaren Bodenschätze ermöglichte die Entstehung von paternalistischen und sogar repressiven Staaten, deren politischer Einfluss von den Fähigkeiten abhängt, einen möglichst großen Anteil der Gewinne aus der Erdölförderung oder dem Bergbau zu erzielen. Das Monopol an Bodenschätzen wurde um das Monopol an politischer Gewalt erweitert.

Auch wenn es paradox scheint, lässt ein solcher Staat, der oft einen bedeutenden Teil der sozialen Aufgaben den Erdöl- oder Bergbauunternehmen überträgt, weite Regionen in Bezug auf ihre Entwicklung im Stich. Unter diesen Bedingungen der »Entterritorialisierung« und mit Unternehmen, die Aufgaben des Staates übernehmen, konsolidiert sich ein Polizeistaat, der aufgrund einer zunehmenden Nichterfüllung seiner sozialen und wirtschaftlichen Pflichten die Opfer des Systems unterdrückt. Sogar die Justiz unterliegt schließlich dem Druck und den Interessen der privaten oder staatlichen Abbau- und Förderungsunternehmen.

In den auf Erdölförderung und Bergbau basierten Wirtschaftsenklaven festigt sich eine Struktur und eine politische Dynamik, die nicht nur autoritär, sondern auch unersättlich ist. Die Unersättlichkeit zeigt sich insbesondere in Zeiten des Aufschwungs in überproportional aufgeblähten öffentlichen Ausgaben und vor allem in einer willkürlichen Verteilung der Steuereinnahmen. Diese Art von Politik lässt sich auch durch das Interesse der Regierungen erklären, an der Macht zu bleiben, oder durch ihre Absicht, Strukturreformen zu beschleunigen, die aus ihrer eigenen Perspektive für den Wandel der Gesellschaften unentbehrlich erscheinen. Auch die höheren Ausgaben und öffentlichen Investitionen sind das Resultat des sich zuspitzenden Verteilungskampfes, der zwischen verschiedenen Machtgruppen ausgelöst wird. Diese Realität, die in Zeiten des Aufschwungs besser wahrgenommen werden kann, wird von Jürgen Schuldt, der sich wohl am eingehendsten dieser Frage gewidmet hat, ganz klar analysiert: »Es handelt sich um ein dynamisches Spiel mit einem unendlichen Horizont, das aus dem Aufschwung selbst entsteht. Und die öffentlichen Ausgaben – die willkürlich sind – übersteigen die Einnahmen, die dem wirtschaftlichen Aufschwung zuzuschreiben sind (prozyklische Haushaltspolitik)«7.

Dieser »Effekt der Unersättlichkeit« löst die verzweifelte Suche und mitunter auch missbräuchliche Aneignung eines bedeutenden Teils der Überschüsse aus. Ohne einen weitreichenden nationalen Konsens über die Nutzung dieser natürlichen Ressourcen und ohne gefestigte demokratische Institutionen (die nur auf einer breiten und stabilen bürgerlichen Beteiligung aufgebaut werden können) treten verschiedene nicht kooperierende Machtgruppen aufs Parkett, und versuchen verbissen, sich auch »ein Stück vom Kuchen« zu sichern. In diesem Streit um die Gewinne aus den natürlichen Ressourcen mischen vor allem die transnationalen Unternehmen mit, die direkt oder indirekt an diesen Aktivitäten beteiligt sind, sowie ihre Vasallen, das internationale Bankensystem, breite Unternehmer- und Finanzsektoren und das Militär sowie einige soziale Segmente mit politischem Einfluss. Auch Gewerkschaften, und zwar der als »Arbeiter-Aristokratie« bekannte Teil8, mit Verbindungen zur extraktiven Wirtschaft, profitieren weitgehend davon. Vor diesem Hintergrund ist es leicht zu verstehen, dass der Verteilungskampf, mal mehr, mal weniger konfliktiv, neue politische Spannungen hervorruft.

Die genannten Punkte schwächen die demokratische Regierbarkeit oder befördern die Entstehung bzw. das Weiterbestehen autoritärer Regime und unersättlicher, klientelistischer Unternehmen mit Hang zu ebenfalls autoritären Praktiken. Tatsächlich zählen diese Länder nicht zu den besten Beispielen der Demokratie, ganz im Gegenteil. Eine kostspielige Verwaltung der Einnahmen und der Mangel einer vorausplanenden Politik schwächen häufig zusätzlich die bestehende Institutionalität bzw. verhindern deren Aufbau.

Lateinamerika hat auf diesem Gebiet viele Erfahrungen gesammelt. Viele Länder der Region haben Regierungen, die klare Züge von Autoritarismus aufweisen, eine Tatsache, die auf die Konzentration von Rohstoffexporten zurückzuführen ist, insbesondere wenn diese auf wenigen mineralischen Bodenschätzen beruhen. Dieser komplexe Zusammenhang findet sich auch in anderen Teilen der Welt, insbesondere in den erdöl- und mineralienexportierenden Ländern. Die aktuelle Situation der Staaten am Persischen Golf ist hierfür ein gutes Beispiel. In Bezug auf ihre enormen finanziellen Reserven und das hohe Pro-Kopf-Einkommen können sie als reich definiert werden, trotzdem unterscheiden sie sich von den Industrieländern: Die Ungleichheit ist gravierend, das Fehlen von Freiheit ist offenkundig und politische sowie religiöse Intoleranz stehen auf der Tagesordnung. Viele der Regierungen sind nicht nur undemokratisch, sie zeichnen sich zudem durch weitgehend autoritäre Praktiken aus. Saudi-Arabien, eine Monarchie mit mittelalterlichen Zügen, ist ein Musterbeispiel.

Norwegen hingegen ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Die Erdölförderung begann, als bereits solide wirtschaftliche und politische demokratische Strukturen vorhanden waren. Die Gleichstellung in der Gesellschaft kann zudem überhaupt nicht mit der in anderen erdölfördernden oder Bergbau betreibenden Ländern verglichen werden. Das Land integrierte das Erdöl in Wirtschaft und Gesellschaft, als es bereits entwickelt war.

Ein Aspekt der Länder, die mit dem »Fluch des Überflusses« belegt sind, sollte nicht unberücksichtigt bleiben: die Gewalt, die ein wesentliches Element eines ausbeuterischen Modells von Demokratie darstellt. Die durch die Abbau- und Förderunternehmen ausgelöste Gewalt, oft von den Regierungen unterstützt, führt zu Repressionen von unterschiedlichem Ausmaß. Die Liste der Unterdrückungen und sogar Genozide in Lateinamerika ist lang und bestens bekannt9. Dazu kommen noch Bürgerkriege und Kriege zwischen Ländern oder imperialistische Aggressionen seitens hartnäckiger Mächte, die sich mit Gewalt den Zugang zu den natürlichen Ressourcen, insbesondere Kohlenwasserstoffvorkommen, sichern wollen. Die nordamerikanischen Militäraktionen gegen Irak und Afghanistan illustrieren letzteres leicht, da sie die Kontrolle der Erdöl- und Gasreserven anstrebten. Nigeria ist ein weiteres Land, das diese Aussagen bestätigt. Es unterlag einem langen und schmerzhaften Bürgerkrieg um die Kontrolle des Rohöls, gefolgt von einer Repressionspolitik gegen die Ogoni. Nach dem Fall der Sowjetunion finden auch die Gewalttätigkeiten im Kaukasus, einer mit Kohlenwasserstoffvorräten reich beschenkten Region, in Turkmenistan, Kasachstan, Aserbaidschan, Georgien, Ossetien, Dagestan oder Tschetschenien kein Ende.

Die Kosten der politischen Auseinandersetzung

Diese vor einem von Instabilität geprägten Hintergrund geführte Auseinandersetzung verursacht aus verschiedenen Gründen Kosten. Da sind zum Beispiel die verzerrenden Auswirkungen des Fehlens solider Institutionen. Bergbau- oder Erdölunternehmen werden dazu ermuntert, durch eine Unterbewertung der Exporte oder Überbewertung der Importe Steuer- und Zollabgaben zu senken oder durch eventuelle – mitunter überraschende – Produktionssenkungen von Seiten transnationaler Unternehmen vorteilhaftere Bedingungen durchzusetzen. Erschwerend kommt die zunehmende Präsenz und Einmischung von Vermittlern aller Art hinzu, durch die die Produktion beeinträchtigt und die Transaktionen verteuert werden. Diese Probleme, deren Liste an Entstellungen und Verzerrungen unendlich lang ist, könnten dazu führen, dass zumindest seriöse Unternehmen weniger in diesem Bereich investieren möchten.

Darüber hinaus drängt die Abhängigkeit von einer derart großzügigen Natur Innovationsanstrengungen und Vermarktungsstrategien an den Rand. Oligopolistische, patrimonialistische und renditenorientierte Praktiken werden gefestigt. Zusammen mit der zunehmenden Einmischung der Abbau- und Förderunternehmen in Regierungsangelegenheiten stärken diese Praktiken kleine aber mächtige oligarchische Gruppen.

Umfangreiche öffentliche Ausgaben für klientelistische Aktivitäten senken außerdem den Druck nach einer fundierteren Demokratisierung. Es kommt zu einer Art »Haushaltsfrieden«10, der die sozialen Proteste vermindern soll. Die jeweilige Regierung kann mit den hohen Einnahmen die Bildung von gegnerischen oder unabhängigen Machtgruppen und Fraktionen verhindern, die sonst in der Lage wären, Rechte einzufordern (Menschenrechte, Gerechtigkeit, Regierungsbeteiligung usw.) und sie so von der Macht fernhalten. Enorme Geldsummen ermöglichen es der Regierung, ihre innenpolitischen Machtinstrumente, einschließlich der Unterdrückung der Opposition, zu stärken.

In einer Situation mit einem relativen Überfluss an finanziellen Mitteln kann man sich eine expansive Wirtschaftspolitik erlauben, die durch Auslandverschuldung ergänzt wird. Die permanente Suche nach mehr Ressourcen zur Finanzierung der Wirtschaft geht mit der Aufnahme von externen Krediten einher11. Der »Effekt der Unersättlichkeit« drückt sich im Bestreben des Bankensystems, insbesondere der internationalen, privaten oder multilateralen Banken, aus, am Festmahl der übermäßigen Einnahmen teilzuhaben. Dies macht sie wiederum zu Mitverantwortlichen der Auslandsverschuldung12.

Aufgrund der hohen Einnahmen durch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und den weitreichenden Möglichkeiten einer Auslandsfinanzierung neigen die Regierungen dazu, in ihren Steuerstrukturen und -praktiken lasch zu werden. In vielen Fällen üben sie nur einen minimalen Steuerdruck aus und unterlassen es mitunter sogar ganz, Steuern einzuziehen, insbesondere Einkommenssteuern (wobei auch die neoliberale Ideologie ihren Beitrag dazu leistet, den Steuerdruck nicht anzuheben)13.

Dadurch, so Jürgen Schuldt, werden die Bürger »verwöhnt«. Und das Schlimmste dabei sei, dass »dadurch die Bevölkerung von der Regierung keine Transparenz, Gerechtigkeit, Repräsentation und Effizienz bei den Ausgaben verlangt«14. Die Forderungen nach demokratischer Vertretung im Staat, erinnert Schuldt, entstand im Allgemeinen als Konsequenz auf Steuererhöhungen, zum Beispiel in Großbritannien vor mehr als vier Jahrhunderten und in Frankreich Anfangs des 19. Jahrhunderts.

Weder demokratische Politik noch produktive Kreativität

Die Logik der Rentenökonomie und des Klientelismus steht der Staatsbürgerlogik entgegen, da sie den Aufbau einer Bürgergesellschaft bremst oder verhindert. Es wird eine »ausschließlich auf Export fokussierte Mentalität« gepflegt, die letztlich Kreativität und Anreize für nationale Unternehmer erstickt, die ansonsten zu Investitionen in Wirtschaftsbereiche mit einer hohen Wertschöpfung und Rendite bereit gewesen wären.

Auch innerhalb der Regierung und sogar unter den Bürgern verbreitet sich diese »exportorientierte Mentalität« nahezu unkontrolliert. Die enormen kollektiven und kulturellen Fähigkeiten und das vorhandene Potenzial der eigenen Bevölkerung werden geringgeschätzt.

Die Regierungen der rohstoffexportierenden Volkswirtschaften verfügen nicht nur über bedeutende Ressourcen, – vor allem in Zeiten des Aufschwungs – um die notwendigen öffentlichen Aufgaben zu bewältigen. Sie können darüber hinaus mit Maßnahmen und Aktionen die Gunst der Bevölkerung gewinnen, um sich eine breite Unterstützung zu sichern und die für sie relevanten Reformen und Änderungen durchzusetzen. Der Klientelismus aber erstickt den Aufbau einer Bürgergesellschaft. Wenn die klientelistischen Praktiken zudem den Individualismus mit individuell ausgerichteten sozialpolitischen Maßnahmen fördern, wie sie in neoliberalen Konzepten entwickelt und von den progressiven Regierungen übernommen wurden, werden soziales Bewusstsein und kollektives Handeln ausgebremst. Letztendlich werden soziale Organisationen und, was noch fataler ist, der Gemeinschaftssinn beeinträchtigt.

Diese Politiken münden einerseits oft in autoritären und messianischen Regierungen, die sich bestenfalls mit den von Guillermo O’Donnell beschriebenen Konzepten der »delegativen Demokratien« oder aktuell als »plebiszitäre Demokratien« klassifizieren lassen. Anderseits schaffen solche hyperpräsidentialistischen Regierungen (neoliberale oder progressive), die auf klientelistische Art und Weise auf soziale Forderungen eingehen, einen Nährboden für neuartige soziopolitische Konflikte. Die Ursachen der Armut und der Ausgrenzung werden nicht von der Struktur her bekämpft. Teile der Überschüsse aus den Erdöl- und Bergbauexporten werden verteilt; es werden jedoch keine tiefgreifenden Änderungen in der Einkommens- und Vermögensverteilung durchgesetzt. Da die enormen ökologischen und sozialen Auswirkungen der im großen Umfang betriebenen Fördertätigkeiten die Regierungsunfähigkeit steigern, werden zusätzliche autoritäre Maßnahmen bevorzugt.

Angesichts eines Mangels an angemessener Institutionalität sind die ökologischen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Kosten der entstehenden Konflikte und möglicher Aufstände beachtlich. Hinzu kommen noch die Auswirkungen der sozialen Instabilität, die solche Abbautätigkeiten in ihren Einflussgebieten auf andere Bereiche haben: zum Beispiel die Vertreibung der Landbevölkerung durch Bergbau und Erdölförderung in den betroffenen Gebieten.

Die Konflikte und Gewalttätigkeiten wirken sich auch auf die Regierungen der Einzelstaaten oder Kommunen aus. Sie werden durch falsche Versprechungen und finanzielle Zuwendungen der Unternehmen, die massiven Abbau betreiben, günstig gestimmt. Am Ende müssen jedoch sie die Kosten dieser komplexen und konfliktgeladenen Beziehungen zwischen den Einwohnern, den Unternehmen und dem Staat tragen. Lokale Entwicklungspläne könnten in Gefahr sein, weil der Bergbau oder die Erdölförderung oberste Priorität sind. All dies zerstört die mit der lokalen Bevölkerung gemeinsam entwickelten Projekte. Die Umweltschäden werden letztlich das schmerzlichste und sogar kostspieligste Erbe der Abbau- und Fördertätigkeiten sein, da diese Kosten von den Unternehmen normalerweise nicht übernommen werden.

Michael Ross kommt in seiner Studie zum Schluss, dass »eine Steigerung der Abhängigkeit von Rohstoffen um ein Prozent – gemessen am Quotienten der Rohstoffausfuhren im Verhältnis zum BIP – die Wahrscheinlichkeit, dass eine autoritäre Regierung entsteht, um 8% erhöhe«15.

Folgende Faktoren führen dazu, dass die Abhängigkeit von nicht erneuerbaren natürlichen Ressourcen caudillistische, ja sogar autoritäre Regierungen hervorruft:

- Schwache staatliche Institutionen können die Einhaltung der Normen nicht durchsetzen und die Regierungsmaßnahmen nicht überwachen.- Fehlende Regeln und Transparenz fördern Willkür in der Verwaltung der öffentlichen Güter. - Verteilungskonflikte zwischen einflussreichen Gruppen um die Renditen senkt auf lange Sicht die Investitionen und das Wirtschaftswachstum – auch aufgrund der Konsolidierung der Rentenökonomie und des Patrimonialismus.- Kurzfristig angelegte politische Maßnahmen und Planung durch die Regierungen.- Der sich in weiten Kreisen der Gesellschaft ausbreitende und verfestigende Trugschluss, dass durch Abbau und Ausfuhr großer Mengen natürlicher Ressourcen Reichtum schneller erlangt werden kann.

Die Sackgasse des »senilen Desarrollismo«

Jemand könnte – aus Boshaftigkeit oder Unwissen – folgendes denken: Wenn die auf Rohstoffexporte basierende Volkswirtschaft Unterentwicklung verursacht und festigt, sollte man den Abbau der Bodenschätze einstellen. Dies ist jedoch ein Trugschluss: Schon Joseph Stiglitz sagte, dass der »Fluch der natürlichen Ressourcen« keine Schicksalsfügung, sondern eine Entscheidung sei16.

Die Aufgabe besteht daher darin, einen Weg einzuschlagen, der vom Verhängnis der natürlichen Ressourcen und vom Verhängnis orthodoxer Ideologien befreit. Diese führen nur dazu, dass eine Unterordnung unter die transnationalen Mächte erfolgt. Eine der größten Herausforderungen ist daher der Aufbau und die Umsetzung einer Strategie, die zu einer post-extraktivistischen Volkswirtschaft führt. Eine solche Volkswirtschaft entsteht nicht von heute auf morgen. Die Vorstellung, Ölfelder oder Minen plötzlich zu schließen, ist schwer fassbar. Dieser notwendigerweise vielschichtige Übergang kann jedoch nie Realität werden, wenn der Abbau weiter voranschreitet, und wenn es an klaren Alternativen mangelt, die eine schrittweise Reduzierung der Förderaktivitäten sorgfältig planen.

Für einen Weg aus einer reinen Rohstoffexportwirtschaft heraus ist folgendes ausschlaggebend: Der geplante Ausstieg aus dem Extraktivismus darf die nachhaltigen Ansätze für Industrie, Landwirtschaft, Tourismus und vor allem Bildung und Wissenschaft in keiner Weise beeinträchtigen. Und die Natur darf nicht weiter zerstört werden. Der Erfolg einer solchen Strategie für einen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und ökologischen Wandel, wie die soeben vage skizzierte, wird von ihrer Kohärenz und vor allem von ihrem sozialen Rückhalt abhängen.

Es geht darum, solche Wirtschaftsformen hinter sich zu lassen, die abhängig machen und nicht nachhaltig sind, die Rohstoffe exportieren, die sich zu stark am externen Markt orientieren, die desindustrialisiert sind, die Ausgrenzung und Armut schaffen, die die Einkommen und den Reichtum konzentrieren, die ausbeuten und kontaminieren. Stattdessen brauchen wir nachhaltige Volkswirtschaften, die in ihren Produkten und Märkten diversifiziert sind, Industrie- und Dienstleistungssektoren aufweisen, hochwertige Arbeitsplätze schaffen und mit den Kulturen und der Natur respektvoll umgehen.

Nur eine neue und starke staatliche Institutionalität, eine neue Organisation der Binnenmärkte sowie eine Strategie für die Teilnahme an der Weltwirtschaft kann diesen Wandel einleiten. Darüber hinaus sind Pläne und unabhängige Organisationen zur Regulierung sowie sorgfältig festgelegte Mechanismen mit einer angemessenen Finanzierung notwendig.

Ziel ist ein neues Profil der produktiven Spezialisierung, das von einem breiten Konsens der verschiedenen Interessen und dadurch von einem nach innen gefestigtem Land getragen wird. Der Binnenmarkt und der Produktionsapparat müssen dafür gestärkt und Strategien für den produktiven Wandel geschaffen werden, mit denen der extraktiven Wirtschaft ihre Bedeutung genommen werden kann.

Die Aussöhnung mit der Natur gehört ebenfalls zu den Prioritäten auf der Agenda. Die rein auf den Menschen ausgerichteten Praktiken müssen überwunden werden, um den Weg für eine auf das Leben zentrierte Gesellschaft zu ebnen (Biozentrismus). Gebiete mit einem hohen ökologischen und sozialen Wert und einer konzentrierten Biodiversität müssen erhalten werden. Das bedeutet auch, ein ambitioniertes Nachhaltigkeitskonzept festzulegen (das wirtschaftliche Kapital kann das »natürliche Kapital« nicht vollständig ersetzen) und neue Vorstellungen über das gesellschaftliche Zusammenleben zu entwickeln. Die herkömmliche Messung der Makroökonomie müsste entsprechend durch neue Indikatoren und Nachhaltigkeitsindizes ersetzt werden.

Eine breite und echte soziale Beteiligung ist erforderlich, um die Herausforderung des Extraktivismus im großen Maßstab zu meistern. Das führt zu einer tiefgreifenden und radikalen Umverteilung der Einnahmen aus dem Bergbau und der Ölförderung sowie aller anderen Einnahmen und bestehenden Vermögen einer Volkswirtschaft. Die Ungleichheiten17 müssen beseitigt werden, da diese die Grundlage jeder Art von Autoritarismus in allen Bereichen des menschlichen Lebens schaffen.

Grundsätzlich geht es darum, das Wirtschaftsmodell des Extraktivismus, d. h. der rohstoffexportierenden Volkswirtschaft nicht weiter zu vertiefen und auszuweiten. Der Versuch, sich anhand eines Modells zu entwickeln, das sich auf die Einnahmen aus Rohstoffexporten stützt, das Renditen aus der Natur überbewertet und menschliche Anstrengung geringschätzt, den externen Markt bevorzugt und den internen Markt vernachlässigt, den Reichtum weiter konzentriert und eine gerechte Verteilung vernachlässigt, war bisher noch für kein Land ein gangbares Entwicklungsmodell. Auch für einen post-desarrollistischen Ansatz, wie das Konzept des »Guten Lebens« (buen vivir) oder Sumak Kawsay18 sind sie es nicht.

Der Weg des »senilen Desarrollismo«19 führt nicht aus dem oben beschriebenen komplexen Dilemma hinaus. Die Herausforderung liegt in der Suche nach einer Strategie zur nachhaltigen Nutzung der nicht erneuerbaren natürlichen Ressourcen, um sie in »einen Segen«20 verwandeln zu können, d.h. nicht zu stark von ihnen abzuhängen. Nur so und durch eine weitere Vertiefung der Demokratie können die Fallen umgangen werden, die aus den zahlreichen hier ausgeführten und miteinander verknüpften Problemen des »Rohstoff-Fluchs« stammen.

Bibliographie

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  • 1. Verschiedene Verfasser haben diesen »tropischen Fatalismus« bereits von verschiedenen Seiten beleuchtet. Dazu gehören Michel Gabin, Michel L. Ross, Jeffrey Sachs, Ricardo Hausmann, Roberto Rigobon und Ivar Kolstad.
  • 2. El Estado mágico. Naturaleza, dinero y modernidad en Venezuela, Consejo de Desarrollo Científico y Humanístico de la Universidad Central de Venezuela / Nueva Sociedad, Caracas, 2002. Dieser Autor geht auf die venezolanische Realität seit der Regierung von General Juan Vicente Gómez bis vor Regierungsantritt von Oberstleutnant Hugo Chávez Frías ein.
  • 3. Über die Gewinne der Erdölindustrie siehe z. B. Fander Falconí: «Los pasivos de la industria petrolera. A propósito del juicio a la Texaco» in Guillaume Fontaine: Petróleo y desarrollo sostenible en Ecuador. 2. Las apuestas, flacso, Quito, 2004.
  • 4. «Inmiserizing Growth: A Geometrical Note» in The Review of Economic Studies Vol. 25 Nr. 3, 1958.
  • 5. Mit den gefallenen Preisen von Erdöl und Mineralien am Anfang der ersten weltweiten großen Krise des 21. Jahrhunderts haben zum Beispiel die Länder des Mercosurs ihre Bestrebungen zur Steigerung der Produktionsmenge und zum Kompensieren der Unternehmen für entgangene Gewinne verstärkt.
  • 6. E. Gudynas: «Diez tesis urgentes sobre el nuevo extractivismo. Contextos y demandas bajo el progresismo sudamericano actual» in aavv: Extractivismo, política y sociedad, caap / claes / Rosa-Luxemburg-Stiftung, Quito, 2009 und «Si eres tan progresista ¿por qué destruyes la naturaleza? Neoextractivismo, izquierda y alternativas» in Ecuador Debate Nr. 79, 2010.
  • 7. ¿Somos pobres porque somos ricos? Recursos naturales, tecnología y globalización, Fondo Editorial del Congreso del Perú, Lima, 2005.
  • 8. Wie es von Eric J. Hobsbawm in «La aristocracia obrera, a revisión» in Jerzy Topolski, Carlo M. Cipolla, Paul Bairoch, E. Hobsbawm und C.P. Kindeleberger aufgeworfen wurde: Historia económica. Nuevos enfoques y nuevos problemas, Crítica, Barcelona, 1981.
  • 9. In den Bergbauregionen von Peru, einem Land, das oft als Beispiel hergezogen wird, haben die Menschenrechtsverletzungen drastisch zugenommen; der Vorfall von Bagua im Juni 2009 ist lediglich eine der bekanntesten Episoden einer langen Kette von systematischer Unterdrückung und Verletzung der Menschenrechte. In Ecuador stehen die schlimmsten Fälle von Menschenrechtsverletzungen der letzten Jahre im Zusammenhang mit transnationalen Bergbauunternehmen und der Erdölförderung. In Kolumbien, einem Land das unter einem grausamen, langjährigen Bürgerkrieg leidet, fanden nahezu 70% der Zwangsumsiedelungen zwischen 1995 und 2002 in Bergbaugebieten statt.
  • 10. J. Schuldt: op. cit.
  • 11. Ecuador erhielt zum Beispiel als neureicher Erdölstaat leichter Kredite als zuvor, als das Land gerade noch eine ärmliche Bananenrepublik war. Mitten im wirtschaftlichen Aufschwung der 70er-Jahre wuchsen die öffentlichen Schulden, insbesondere die externen, im Verhältnis zum eigentlichen Erdöl-Boom überproportional (tatsächlich wuchsen sie auch bedingt durch äußere Einflüsse, die auf die Anforderungen der Kapitalanhäufung zurückzuführen waren).
  • 12. Siehe Osmel Manzano und Roberto Rigobon: Resource Curse or Debt Overhang?, National Bureau of Economic Research, Cambridge, 2001, oder A. Acosta: La deuda eterna. Una historia de la deuda externa ecuatoriana, 4. Auflage, Libresa, Quito, 1994.
  • 13. In Ecuador brüstete sich Guillermo Rodríguez Lara, einer der Generäle der Militärregierungen aus der Zeit des Erdöl-Booms der 70er-Jahre, mit dem Nichteinzug der Steuern und stellte dies als eine der Errungenschaften seiner Regierungszeit dar.
  • 14. J. Schuldt: op. cit.
  • 15. «How Does Mineral Wealth Affect the Poor?», Abteilung für Politologie, California Universität in Los Angeles, April 2003, www.sscnet.ucla.edu/polisci/faculty/ross/minpoor.pdf.
  • 16. Cómo hacer que funcione la globalización, Taurus, Madrid, 2006.
  • 17. Insbesondere wirtschaftliche, soziale, generationsübergreifende, geschlechtsbedingte, ethische, kulturelle, regionale Ungleichheiten.
  • 18. Siehe zum Beispiel A. Acosta: «El Buen Vivir, una utopía por (re)construir» in Casa de las Américas Nr. 257, 2.2010.
  • 19. Joan Martínez Alier: «No sé si hay un ecologismo infantil pero sí creo que hay un desarrollismo senil», Interview von Marc Saint-Upéry in Le Monde diplomatique Ausgabe Bolivien, 12.2008.
  • 20. J. Stiglitz: ob. cit.
Este artículo es copia fiel del publicado en la revista Nueva Sociedad , Januar 2012, ISSN: 0251-3552


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