Artículo
NUSO Nº Januar 2008

Die Arbeitspolitik progressiver Regierungen in Lateinamerika

Zusammenfassung | In diesen ersten Jahren des 21. Jahrhunderts ist in einigen Ländern Lateinamerikas der Aufstieg verschiedener Regierungen zu beobachten, die sich selbst als progressiv bezeichnen oder als solche wahrgenommen werden. Gleichzeitig scheint der in den letzten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts vorherrschende Neoliberalismus an Kraft zu verlieren. Vor diesem Hintergrund schwanken die Arbeitspolitiken besagter Regierungen zwischen bloßen Reparaturen am neoliberalen Modell, der Wiederherstellung des früheren Systems sozialer Sicherung und der Suche nach Alternativen. Dieser Beitrag versucht, die Charakteristika der neoliberalen Arbeitspolitik der 80er und 90er Jahre zu beschreiben, die sich heute abzeichnenden Veränderungen aufzuzeigen, deren Grenzen zu identifizieren und einen Ausblick auf die Möglichkeit einer »postneoliberalen« Arbeitspolitik zu geben.

Die Arbeitspolitik progressiver Regierungen in Lateinamerika

Einleitung

Überlegungen über die Arbeitspolitik progressiver Regierungen anzustellen, setzt die Klärung von mindestens zwei Fragen voraus: nämlich die Abgrenzung der Arbeitspolitik und was wir unter dem Begriff »progressive Regierung« verstehen. Wir können – zumindest für den Zweck dieser Zeilen – die Arbeitspolitik als jenen Teil der Politik allgemein und der Sozialpolitik im Besonderen betrachten, der die Arbeitsbeziehungen unter besonderer Berücksichtigung der Lage der Beschäftigten und ihrer Organisationen umfasst. Aus dieser Sicht stellt sich vor allem die Frage, wie zentral, abhängig, marginal oder inexistent Arbeitspolitik im Einzelfall ist.

Der Begriff »progressive Regierung« ist möglicherweise weniger klar umrissen. Als erste Annäherung könnte man die linken Regierungen als »progressiv« bezeichnen, was aber die Frage nur darauf verlagert, wie man die Linke politisch definiert, und dies ist vor allem in Zeiten schwierig, in denen diese politischen Sektoren eine Identitätskrise erleben, so wie das heute der Fall ist. Etwas weiter und auf konzeptuell sichererem Boden könnte man als Arbeitshypothese den von Norberto Bobbio geprägten Begriff heranziehen, dem zufolge das, was die linken politischen Richtungen letztlich von der Rechten unterscheidet, das Bemühen um größere Gleichheit ist.

In diesem Fall wären linke – und daher progressive – Regierungen jene, die als Ziel die Reduzierung der Ungleichheiten haben. Ein solches Verständnis würde uns erlauben, einige Regierungen unter den Begriff zu fassen, der hier zur Diskussion steht. Deren ideologische Haltung stimmt zwar nicht mit dem überein, was man traditionell als links definiert, sie zeigen aber wenigstens auf sozialem Gebiet ein Bemühen, die Position der Arbeiter – sei es individuell oder kollektiv – zu stärken.

Im Übrigen scheint es in einem etwas weiteren Sinne unvermeidlich, die Wirtschaftspolitik über die Arbeitsbeziehungen hinaus zu berücksichtigen und damit die Einkommensverteilung und die soziale Inklusion als unumgängliche Ziele progressiver Politik fest zu machen. Die Rechten können Assistenzialismus betreiben, aber nur schwer umverteilen, und früher oder später führt die besonders in den Entwicklungsländern innewohnende Ungleichheit zu sozialer Exklusion. In diesem Sinne könnte eine Regierung nicht wirklich als progressiv bezeichnet werden, wenn sie die Einkommenskonzentration und sonstige Ungleichheiten beibehalten oder sogar vergrößern würde, und dies selbst dann nicht, wenn sie sich in den Arbeitsbeziehungen um einen besseren Schutz der Beschäftigten und die Förderung ihrer Organisationen bemühen würde.

Von diesem Standpunkt aus wollen wir diesen Beitrag in vier Teile gliedern: im ersten werden wir versuchen aufzuzeigen, was in den letzten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts mit der Arbeitspolitik geschehen ist; im zweiten wollen wir versuchen zu zeigen, dass im neuen Jahrhundert Veränderungen zu beobachten sind und diese Veränderungen identifizieren; im dritten nehmen wir Bezug auf die Grenzen dieser Veränderungen und im vierten Teil werden wir versuchen zu definieren, wie die Leitlinien einer progressiven Arbeitspolitik heute aussehen könnten.

Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen

Es scheint klar, dass die 80er und 90er Jahre im Großen und Ganzen – und besonders in Lateinamerika – die Jahre der Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen waren. Dies geschah auf Anweisung der neoliberalen ökonomischen Theorie, die zum einzig wahren und beherrschenden Denken erhoben worden war. Auf dem Gebiet der Arbeitsbeziehungen sahen die von Hayek und Friedmann formulierten »neoliberalen Rezepte« im wesentlichen vor, den staatlichen Schutz des individuellen Arbeiters »bis an die Grenze des politisch Möglichen« zu reduzieren und die gewerkschaftlichen Aktionsmöglichkeiten bis an dieselbe Grenze staatlich einzuschränken. Da die Arbeitsbeziehungen in Lateinamerika vor allem auf legislativen Grundlagen aufbauen, waren zur Umsetzung der obigen Rezeptur Gesetzesänderungen notwendig, die dann in unserer Region auch mit viel größerer Intensität vorgenommen wurden als in Europa.

Im größten Teil unserer Länder (Chile, Panama, Ecuador, Peru, Kolumbien und mit unterschiedlicher Ausprägung Argentinien, Brasilien, Uruguay und Venezuela) ist eine staatlich verordnete Deregulierung festzustellen. Die zentralen Aspekte dieser Politik kann man in zwei großen Linien zusammenfassen. Einerseits die Verringerung konkreter vertraglicher Leistungen und die Einrichtung der sogenannten »Schrottverträge« – Arbeitsverträge ohne oder mit nur wenigen Rechten, durch die die Arbeitsbeziehungen auf sehr prekäre Grundlagen gestellt wurden – oder sogar die Entlassung bzw. »Travestie« der Beschäftigten, denen jeder arbeitsrechtliche Schutz entzogen wurde. Als Beispiel sind zu nennen: Auslagerungen, Unterverträge, Scheinkooperativen oder die ungesetzliche Nutzung dieser Rechtsform, »Ein-Personen-Unternehmen«, usw. Andererseits die Privatisierung der Sozialversicherung, die mit unterschiedlicher Intensität in zwölf Ländern (Chile, Argentinien, Kolumbien, Uruguay, Mexiko, Bolivien, El Salvador, Peru, Costa Rica, Ecuador, Nicaragua und der Dominikanischen Republik) stattfand, auch wenn sie nicht in all diesen Fällen vollständig umgesetzt werden konnte.

Die erklärten Ziele solcher Reformen war die Verbesserung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, die Erhöhung der Beschäftigung, und mehr soziale Sicherheit. Keines dieser Ziele wurde erreicht, was nicht daran hindert, sie weiter zu fordern und was die kritischen Positionen gestärkt hat. Erreicht wurden allerdings die wirklichen Ziele, die ganz andere waren, nämlich in erster Linie eine regressive Umverteilung der Einkommen.

Tatsächlich gesellte sich zu der immer schon seitens des Arbeitsrechts und der Gewerkschaften erhobenen Kritik nun auch die von Internationalen Organisationen und einigen Ökonomen. Schon in den 90er Jahren hatte die OECD erkannt, dass die Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen das Beschäftigungsniveau nicht verbesserte; im Jahr 1999 prägt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) den Begriff der »anständigen Arbeit«, womit die Überwindung der rein quantitativen Bemühungen um die Schaffung von Beschäftigung unabhängig von ihrer Qualität gemeint ist. Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist die Meinung des stellvertretenden Generalsekretärs der Vereinten Nationen hervorzuheben, der in einer Rede in Genf Ende 2006 die in Lateinamerika praktizierte Wirtschaftspolitik genau deswegen hinterfragte, weil sie die Sozial- und Beschäftigungspolitik an den Rand drängten, während sie notwendigerweise »ins Zentrum« der Wirtschaftspolitik gehörten.

Natürlich reicht die Deklaration von Kritik nicht, um eine Etappe abzuschließen. Das Interessante ist, dass man wirklich Anzeichen für Veränderungen in der Arbeitspolitik feststellen kann.

Anzeichen für Veränderungen

Unserer Meinung nach zeigt sich ein Gutteil der Veränderungen im Arbeitsrecht und in der Sozialversicherung, was nicht verwunderlich wäre, denn erstens ist das System der Arbeitsbeziehungen in den lateinamerikanischen Ländern in hohem Maße gesetzlich geregelt und zweitens waren die Deregulierungsreformen wie schon gesagt zum großen Teil über die Gesetzgebung verwirklicht worden.

Die Widerstände gegen die neoliberale Deregulierung bzw. die »postneolibe-rale« Reregulierung lassen sich auf der Ebene der Verfassung, der Gesetzgebung und der Rechtsprechung feststellen.

Die Verfassungsreformen. Seit der Verfassungsreform von 1988 in Brasilien, die schon in der Zeit der Deregulierung und Flexibilisierung einer großen Zahl von arbeitsrechtlichen Bestimmungen Verfassungsrang gab – das heißt, sie in festere und schwerer zu modifizierende Normen überführte – haben fast alle Verfassungsreformen in Lateinamerika (mit Ausnahme der peruanischen) die verfassungsmäßigen Arbeitnehmerrechte ausgeweitet oder gefestigt.

Dieser augenscheinlich befremdliche Umstand – dass in derselben Zeit, in der die Gesetzgebung Rechte abschafft oder schwächt, die Verfassungen sie ausweiten oder verbessern – hat eine politische Erklärung, die unabhängig davon ist, ob die Regierungen progressiv waren oder nicht. Da entweder die Bevölkerung in geheimer Wahl oder eine breite Parlamentsmehrheit oder die Verfassunggebende Versammlung den Verfassungsreformen zustimmen muss, ist es sehr viel schwieriger einen solchen Konsens für den Abbau von Rechten herzustellen, aber leicht für ihre Erweiterung. Politisch ist es dagegen leichter ein Gesetz mit Verschlechterungen einzubringen als eine Verfassungsreform zu billigen, die Rechte abbaut. Vielleicht neigt deshalb die Arbeitsgesetzgebung eher dazu, Rechte einzuschränken, als die Verfassungen. Gesetzliche Reformen. Während man in den 90er Jahren die eben genannte »Schizophrenie« erlebte (Verfassungen mit verbesserten und Gesetze mit schlechteren Arbeitsrechten) scheint mit dem Wechsel des Jahrhunderts eine gewisse Wende in der Gesetzgebung eingetreten zu sein. Man beobachtet eine Reregulierung mit größeren Schutzrechten, die teilweise mit dem Aufkommen und der Konsolidierung »progressiver« Regierungen zusammenfallen könnte. Die Reformen in Chile 2001 und 2006 (obwohl die »progressiven« chilenischen Regierungen davor die Gesetze Pinochets nur »kosmetisch« verbessert hatten), in Argentinien und Venezuela 2004 und in Uruguay zwischen 2005 und 2007 sind dafür ziemlich deutliche Beispiele.

Der Fall Uruguay kann als Beispiel stehen, sogar für die Demystifizierung der angeblich schädlichen Effekte des Arbeitnehmerschutzes: Im genannten Zeitraum wurden die Gewerkschaften gestärkt, Tarifverhandlungen wurden zentralisiert und ausgebaut, es wurde die solidarische Verantwortung von Vermitt-lern, Subunternehmern oder Zeitarbeitsunternehmen betont sowie eine Reihe anderer gesetzlicher Bestimmungen, die die Arbeiter stärker schützten, ohne dass eine höhere Arbeitslosigkeit oder ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit eintrat, wie dies nach den neoklassischen Vorstellungen der Fall sein müsste. Im Gegenteil, der höhere gewerkschaftliche Organisierungsgrad, die Einbeziehung von mehr Beschäftigten in Tarifverträge und höhere Reallöhne wurden von moderaten Verbesserungen bei den formellen Arbeitsverhältnissen und der Beschäftigungsquote begleitet. Dies war also möglich. Und es war möglich, ohne ein wirtschaftliches Desaster herbeizuführen. Aber vielleicht ist dieser Fall auch nützlich, um die Grenzen dieser Politik deutlich zu machen, auf die wir weiter unten eingehen.

Auch zu den Anzeichen für Veränderungen in der Sozialversicherung muss man einige Worte sagen. Während in den 80er und 90er Jahren die Privatisierungen vorherrschten (mit einigen wenigen Ausnahmen, darunter Brasilien), spricht man heute von der »Reform der Reform«. Venezuela schuf das Privatisierungsgesetz ab, Argentinien modifizierte es, Chile richtete eine Revisionskommission ein und in Uruguay wird darüber diskutiert. Ecuador, Nicaragua und Paraguay hatten seinerzeit die Reformen nicht umgesetzt. Offensichtlich halten nur Kolumbien, Peru und Mexiko an den Reformen fest, aber es wird zunehmend klar, dass das private Rentensystem, so wie es geplant und umgesetzt wurde, nicht aufrecht zu erhalten ist und in jedem Fall revidiert werden muss.

Eine Revolution in der Rechtsprechung? In den Rechtswissenschaften hört man häufig, dass die Doktrin revolutionär, innovativ, kreativ sein muss, während die Rechtsprechung eher dazu neigt – und vielleicht ist das ja gut so – konservativ zu sein. Die höchstinstanzliche Rechtsprechung einiger lateinamerikanischer Länder hat jedoch in letzter Zeit einige besonders bedeutsame, innovative und für die Arbeitnehmer positive Entscheidungen gefällt, so dass man sogar von einer »Wiederherstellung der Arbeitnehmerrechte durch die Jurisprudenz« spricht.

Auf Grund einer unmittelbaren Anwendung in den Verfassungen und in internationalen Normen (besonders in den Verträgen und Erklärungen zu den Menschenrechten) haben die Verfassungsgerichte in Kolumbien und Peru, die Verfassungsrichter des Obersten Gerichtshofes von Costa Rica, sowie das Oberste Gericht und einige Appellationsgerichte in Argentinien einige Rechte wieder eingesetzt, die durch einfache Gesetzgebung »abgeschafft« oder eingeschränkt worden waren. Mit anderen Worten: Diese Gerichte wenden das deregulierende und flexibilisierende Gesetz »ab« und wenden unmittelbar die günstigere Verfassungs- oder internationale Norm an. Ebenso ist gleichzeitig der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte verfahren.

In einigen dieser Fälle ist es wahrscheinlich, dass der politische Wandel ein günstiges »Klima« für eine solche Entwicklung der Rechtsprechung geschaffen hat (Argentinien), aber in anderen Fällen (Costa Rica, Kolumbien, Peru) scheint dies unabhängig von der jeweiligen Politik vonstatten zu gehen.

Die Empfehlung 198 der Internationalen Arbeitsorganisation. Im Zusammenhang mit den internationalen Normen zum Arbeitsrecht ist es unbedingt erforderlich, auf die 2006 erfolgte Annahme der ILO-Empfehlung 198 hinzuweisen. Diese Norm bestätigt den Schutz des Arbeitnehmers als zentrales Ziel der Arbeitspolitik. Sie proklamiert die Gültigkeit einer Reihe fachlicher und juristischer Instrumente zur Aufdeckung von verschleierten Arbeitsbeziehungen wie z.B. das Primat der Realität, die Irrelevanz der juristischen Beziehung der Beteiligten zueinander, die Aufzählung von Indizien für das Bestehen einer Arbeitsbeziehung und ganz besonders die Aufforderung an die Mitgliedsstaaten, alle Anreize für verschleierte Arbeitsbeziehungen abzuschaffen.

Es ist nicht unbedeutend, dass die ILO nach zwei oder drei Jahrzehnten Flexibilisierung und Deregulierung, unter denen es fast unmöglich war, gegen Verletzungen der Arbeitsgesetzgebung durch prekäre, ausgelagerte oder verschleierte Arbeitsverhältnisse vorzugehen, nun eine Empfehlung ganz im gegenteiligen Sinn ausspricht, die restaurativ ist. So schließt sich diese Empfehlung in einigen Ländern an die bestehenden Anzeichen dafür an, dass sich die Deregulierung und Flexibilisierung erschöpft oder verlangsamt haben und dass nun eine neue Phase, eine Art »Postneoliberalismus« aufkommt.

Natürlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn es sich um einen internationalen Vertrag gehandelt hätte und nicht nur um eine Empfehlung, denn wie man weiß hat ein Vertrag nach Ratifizierung bindende Wirkung, während eine Empfehlung schlicht ein Vorschlag oder eine Orientierungshilfe ist. Diese, sagen wir einmal, Schwäche hängt gerade mit den Grenzen der Veränderungen zusammen: Einerseits scheint objektiv klar, dass »andere Winde wehen« und dass man jene »Postmodernität« zu überwinden beginnt, die nun langsam alt wird, aber andererseits zeichnet sich noch kein klar umrissener neuer Horizont ab.

Die Grenzen der Veränderungen

Auch wenn die oben genannten Hinweise deutlich sind und an eine »postneoliberale« Arbeitspolitik denken lassen, so ist ebenfalls richtig, dass diese nicht in allen Ländern, in denen es einen progressiven politischen Wandel gegeben hat, mit gleicher Intensität nachzuweisen ist. Selbst dort, wo sie von progressiven Regierungen vorangetrieben wurde, ist sie weder so umfangreich noch so intensiv gewesen wie man erwartet hatte oder wie es möglich gewesen wäre.

Wie schon gesagt ist der Fall Uruguay paradigmatisch. Ohne Zweifel ist viel getan worden. Aber man ging vorwärts und wieder zurück (ganz deutlich wurde dies in dem schwierigen Prozess zur Verabschiedung des Gewerkschaftsgesetzes und im Fall des Gesetzes über die solidarische Verantwortung von Untervertragnehmern, Arbeitsvermittlern und Zulieferern) und weder wurden die »Ein-Personen-Unternehmen« angetastet (sie sind der wichtigste »Fluchtweg« aus dem Arbeitnehmerschutz), noch die privaten Rentenfonds. In Brasilien ist die Verabschiedung der »Klausel 3« zu den sogenannten »PJ« – gegen die der Präsident dann ein Veto einlegte – ein anderes Beispiel für diese Rückschritte.

Viellleicht ist das gar nicht so überraschend und lässt verschiedene Erklä-rungen zu.

Schon in der »harten« Zeit des Neoliberalismus neigte die Arbeitsgesetzgebung unterhalb der Verfassungsebene eher dazu, sich selber zu deregulieren als die Verfassung und die Rechtsprechung. Warum sollte man daher dort nicht auch die größten Widerstände gegen die Re-Regulierung erwarten?

Zudem ist klar, dass eine Sache die Situation der progressiven Regierungen mit einer parlamentarischen Mehrheit für die »Reform der Reform« ist; eine ganz andere Sache ist allerdings die der Regierungen, die zwar die gleiche politische Orientierung aber keine Parlamentsmehrheit haben.

Andererseits besteht die größte Schwierigkeit bei der Wiederherstellung einer Arbeitspolitik mit Arbeitnehmerschutz im Fortbestehen – auch in Ländern mit progressiven Regierungen – einer neoliberalen Wirtschaftspolitik sowie wirtschaftspolitischen Instrumenten aus neoklassischem Erbe wie das einige chilenische, brasilianische oder uruguayische Soziologen und Ökonomen im Hinblick auf ihre Länder betonen. Verschiedene Faktoren beeinflussen diese Tendenz: mächtige Wirtschaftsinteressen, Unfähigkeit oder Angst vor einer Alternative, vorherige Kompromisse der Linken, die rechte Politik weiterzuführen, kulturelle oder ideologische Kolonisierung. Dies alles muss in Anbetracht der Tatsache gesehen werden, dass der neoliberale Diskurs großen Einfluss hatte und er – auch wenn er heute an Legitimität verliert – immer noch im kollektiven Bewusstsein der Regierungsmannschaften fortbesteht, ganz egal wo diese politisch stehen.

Hier muss man auf das zurückgreifen, was in der Einleitung gesagt wurde. Kann eine Politik als progressiv bezeichnet werden, die weder die Ungleichheiten verringert, noch die Einkommen umverteilt oder die soziale Inklusion verbessert? Denn in einigen unserer Länder, in denen der oben beschriebene Wandel im Arbeitsrecht stattfand, hat die in großen Linien fortgesetzte Wirtschaftspolitik dazu geführt, dass die Ungleichheiten weiter bestehen und sich sogar vergrößert haben. Dies war durch die relative Verbesserung der Terms of Trade möglich. Durch die spürbare Verbesserung der Ausfuhrpreise der Rohstoffe konnten die Lohnerhöhungen und andere Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen durch die postneoliberalen Reformen aufgefangen werden und es blieb immer noch ein Plus für das Kapital, dass so seinen Abstand zur Arbeit beibehält bzw. sogar ausbaut. Zudem wird dieser Effekt durch die Existenz eines großen informellen Sektors – und anderer ganz ausgeschlossener Sektoren – verstärkt, die die Wirkungen der Arbeitspolitik nicht direkt zu spüren bekommen, weil diese auf die mehr oder weniger organisierten Lohnabhängigen ausgerichtet sind.

Wir stehen also vor der paradoxen Situation, dass Arbeitspolitiken die Rechte der Beschäftigten schützen, während die Wirtschaftspolitik gleichzeitig die Einkommensbresche zwischen Kapital und Arbeit sowie die soziale Exklusion vertieft. Die Arbeitspolitik führte einige Verbesserungen zugunsten der Arbeit ein, aber gleichzeitig tolerierte die Wirtschaftspolitik, dass relative Vorteile des Kapitals weiter zunehmen. Man wuchs stärker als verteilt wurde. Da stellt sich die Frage: Ist eine progressive Arbeitspolitik effektiv oder wenigstens nachhaltig, die im Schatten einer mehr oder weniger konservativen Wirtschaftspolitik steht?

Schließlich ist es üblich zu sagen, dass die Globalisierung eine eigenständige Arbeitspolitik, die die Rechte der Beschäftigten effektiv schützt, erschwert. Das ist ohne Frage bis zu einem gewissen Punkt richtig, dient aber auch häufig als Ausrede. Tatsächlich haben die Erfahrungen in einigen Ländern ganz klar gezeigt, dass es noch Handlungsspielraum für den Staat gibt und dass eher der politische Wille für derartige Initiativen fehlt. Zudem hat die Globalisierung gleichzeitig auf der internationalen Ebene Räume geschaffen – die Internationalen Organisationen, die Wirtschaftsblöcke, die internationale Jurisprudenz, die internationale Gewerkschaftsaktion – die sich dafür eignen, die Hindernisse, die die Globalisierung dem nationalen Arbeitnehmerschutz in den Weg legt, wenn nicht zu neutralisieren so doch wenigstens abzumildern. Ein Modell für progressive Arbeitspolitiken?

Wenn die Flexibilisierungs- und Deregulierungsoffensive des Neoliberalismus tatsächlich an Schwung verloren hat und nicht durch ein anderes, mehr oder weniger klassisches Modell auf der Basis des traditionellen Arbeitsrechts ersetzt wird, dann stellt sich die Frage nach dem Postneoliberalismus. Was kommt nach der Deregulierung?

Die Wiederherstellung jenes Arbeitsrechts mit dem vorrangigen Ziel des Arbeitnehmerschutzes, wird nicht einfach so erfolgen. Die Wiederherstellung einer perfekten Blaupause der vorherigen Situation ist gar nicht möglich – und vielleicht auch nicht wünschenswert, denn die Zeit vergeht nicht vergebens. Für unsere Zwecke ist es in jedem Fall notwendig festzuhalten, was die Ergebnisse des neoliberalen Interregnums sind, und dies im Hinblick auf zwei Fragen: Welche Institutionen des alten Regimes haben sich als nützlich, modern und nachhaltig erwiesen? Und in welchen Teilen haben seine Kritiker recht behalten?

Natürlich können wir hier jetzt keine postneoliberale Theorie des Arbeitsrechts oder der Arbeitspolitik formulieren, aber wir werden einige der Tatsachen hervorheben, die die traumatische Deregulierungserfahrung – im Guten wie im Schlechten (sicher mehr im Schlechten) – hinterlassen hat. Auf dieser Grundlage wird man eine »neue, alte« Arbeitspolitik anpassen oder model-lieren müssen. Diese könnte sich unserer Meinung nach an folgenden Leit-linien orientieren.

Den Fortbestand der individuellen Arbeitsverhältnisse höher bewerten. Die prekären und instabilen Arbeitsverhältnisse, als Ergebnis der Deregulierungsreformen, haben letztendlich zu einer Neubewertung der Kontinuität geführt. Spanien und Argentinien sind gewissermaßen deutliche Beispiele dafür. Während sie jeweils »Europameister« und »Lateinamerikameister« bei der Einführung der »Schrottverträge« waren, so waren sie auch die ersten, die in den Rahmenverträgen von 1997 und in späteren Gesetzen eine Korrektur einleiteten, indem sie versuchten, den Abschluss von Zeitverträgen einzuschränken und die unbefristete oder länger andauernde Einstellung zu fördern.

Die extreme Instabilität ist für den Arbeitgeber nur kurzfristig und nur in bestimmten Sektoren mit gering qualifizierten Arbeitskräften funktional. Außerhalb dieses Bereichs ist sie für alle dysfunktional: für den Arbeitnehmer, für den Staat und sogar für den Arbeitgeber. Tatsächlich widerspricht die Instabilität zwei Axiomen der modernen Personalführung – sowohl der Fortbildung als auch der Identifikation des Arbeitnehmers mit den Unternehmenszielen. Denn logischerweise ist es nicht realistisch zu erwarten, dass sich der Arbeitnehmer mit den Unternehmenszielen identifiziert und sie als seine eigenen annimmt (»sich das Hemd des Unternehmens anzieht«) wenn er weiß, dass er in ein paar Monaten nicht mehr dazu gehören wird. Und genauso wenig ist es realistisch anzunehmen, dass der Arbeitgeber in die Fortbildung eines Arbeitnehmers investiert, der bald nicht mehr im Haus sein wird.

Im Gegenteil könnte man auf der Grundlage von Kontinuität einen circulus virtuosus in Gang zu setzen versuchen: Kontinuität – Identifikation und Fortbildung – Anpassungsfähigkeit und Multifunktionalität – Kontinuität. Die Aussicht auf ein Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses wird das Personal dazu ermutigen, sich fortzubilden und sich in das Unternehmen einzubringen. Diese ständige Fortbildung wird dem Arbeitnehmer die Anpassung an Veränderungen und einen vielfältigeren Einsatz erlauben und damit mehr Möglichkeiten bieten, seinen Arbeitsplatz trotz technischem und wirtschaftlichem Wandel zu behalten. Damit wiederum bliebe die Kontinuität gewahrt, die am Anfang des Kreislaufs stand und sie würde neue Fortbildungsmöglichkeiten sowie eine noch bessere Einbindung hervorbringen.

Die berufliche Bildung. Wir stehen vor einer richtigen »Entdeckung der beruf-lichen Bildung« wie sie als Grundrecht in Verträgen und Deklarationen zu den Menschenrechten und in verschiedenen Verfassungs- und Gesetzesnormen einiger Länder niedergelegt ist. Diese Entdeckung versteht die berufliche Bildung nicht nur als eine Modalität des Rechts auf Bildung, sondern auch als Teil der Arbeitnehmerrechte. Tatsächlich haben die Globalisierung, die schritt-weise »Technologisierung« der Arbeit und der zunehmende Ersatz von überwiegend physischer Arbeit durch eine andere, viel differenziertere und wissensintensivere Arbeit zu dieser Entwicklung beigetragen. Darüber hinaus erfordert die Geschwindigkeit des technologischen Wandels in immer stärkerem Maße die periodische Fortbildung zur Erhaltung des Arbeitsplatzes. Man wird sich also darüber klar, dass die berufliche Bildung selbst im Arbeitsrecht eine grundlegende Rolle spielt und dass sie Teil des Arbeitsverhältnisses selber ist: Sie bedingt den Einstieg in ein Arbeitsverhältnis, erleichtert den Aufstieg, ist entscheidend für den Erhalt des Arbeitsplatzes und selbst wenn dieser verloren geht, ist heute eine Arbeitslosenversicherung ohne Fortbildung oder Umschulung zur Wiedereingliederung des Arbeitslosen undenkbar. Andererseits, das wird aus den Zeilen oben klar, ist die ständige Fortbildung ein zentrales Element für den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses. Die berufliche Bildung muss daher in das Arbeitsverhältnis und sogar in das soziale Sicherungssystem integriert sein. Mittel- oder langfristig ist eine Arbeitspolitik ohne Berücksichtigung der beruflichen Bildung nicht tragfähig.

Die Qualität der Arbeit. Nachdem man sich jahrzehntelang nur um die Menge der Arbeit gekümmert hat und sich die Aufmerksamkeit einseitig auf die Arbeitslosenzahlen richtete – diese zu senken legitimierte dann die Schaffung egal welcher Arbeitsplätze –, lässt sich nun ein Sinneswandel feststellen, in dem der quantitative Aspekt zwar nicht an Bedeutung verliert, die Qualität der Arbeit jedoch stärker in den Vordergrund rückt.

Schon der im Rahmen der ILO 1999 geprägte Begriff der »menschenwürdigen Arbeit« (decent work) zeigt dies und leitet eine gewisse politische Neuorientierung dieser Organisation ein. Es reicht nicht Arbeitsplätze zu schaffen, es müssen Arbeitsplätze mit einem Minimum an Würde sein. Die Messung des »Index der Lebensqualität am Arbeitsplatz« durch das spanische Arbeitsministerium kann analog gesehen werden.

Es ist nicht überraschend, dass der Weltkongresses der International Industrial Relations Association (IIRA) in Lissabon 2004 als eines seiner zentralen Themen »die Qualität der Arbeitsbeziehungen« behandelte. Selbst die Idee der sozialen Verantwortung von Unternehmen und das Aufkommen der Verhaltenskodizes (codes of conduct) – auch wenn man diese kritisch sehen kann und sollte – spiegeln das Gefühl wieder, dass die Arbeitsbedingungen qualitative Anforderungen erfüllen müssen. Mehr noch: Harmonisiert nicht selbst der Begriff vom »Bürger im Unternehmen« mit der Notwendigkeit, die Qualität der Arbeit zu erhalten oder zu verbessern und begründet diese Notwendigkeit sogar?

Die Gefangennahme der Flüchtlinge: die Prinzipien der Unwiderrufbarkeit und des Primats der Realität, das Problem der Selbstständigkeit und die Formalisierung der Beschäftigung. Die Flucht oder die Vertreibung von Arbeitnehmern aus dem Schutz des Arbeitsrechts wurde schon erwähnt. Es ist klar, dass eine postneoliberale Arbeitspolitik versuchen muss, diese Tendenz umzukehren.

In der Literatur wird öfters vorgeschlagen, das Arbeitsrecht auf neue Bereiche auszudehnen, um »die Flüchtlinge einzufangen«. Schließlich scheint die einfachste Lösung, die Grenze zu verschieben um diejenigen wieder einzubinden, die sie überschritten haben. Einer solchen Strategie folgen die Vor-schläge, das Arbeitsrecht ganz oder teilweise auf alle Beschäftigte und nicht nur die abhängig Beschäftigten anzuwenden, oder ein Statut für Selbständige einzuführen.

Im Übrigen kann und sollte die Rechtsprechung auch mit den alten Netzen des Arbeitsrechts viele der »Flüchtlinge« erreichen. Eine aggressive Anwendung der Prinzipien des Primats der Realität, der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses, der Unwiderrufbarkeit, der öffentlichen Ordnung und der Ver-pflichtung zum Schutz würde das ohne Zweifel erlauben. Darauf zielt die sehr wichtige, neue ILO-Empfehlung zu den Arbeitsbeziehungen von 2006 ab. Die Frage stellt sich auch für die Gewerkschaften.

Aber darüber hinaus scheint es unumgänglich, die Formalisierung der Arbeit zu betreiben. Jahrzehntelang tolerierte – manchmal bejubelte – man die Informalität, die zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen aller (formell und informell Beschäftigten), zur Unterfinanzierung der Sozialversicherung und zum unfairen Wettbewerb beigetragen hat.

Die Wiederaufwertung der Sozialversicherung. Die Privatisierung der Sozialversicherung in vielen lateinamerikanischen Länden hat zu einem besonders grausamen System geführt. Es handelte sich um eine wahre Enteignung der Gelder der Arbeitnehmer, denn die Beiträge sind keine Zahlungen an den Staat mehr, die der Solidarität mit den Älteren dienen, sondern werden zu einem direkten Einkommenstransfer der Arbeiter an bestimmte Unternehmen. Schlimmer noch: Der Arbeiter ist nicht nur verpflichtet Monat für Monat einen bestimmten Betrag an einen von Privatunternehmen – in der Regel Banken – verwalteten »Fonds« zu zahlen, an denen er in keiner Weise beteiligt ist und denen er sogar eine Kommission zahlen muss: Es ist auch der einzige Fall, in dem jemand einem Anderen Geld leiht und noch dafür bezahlt, damit dieser das Geld für sich verwenden kann.

Aber heute hinterfragt man nicht nur die Unausgewogenheit des Mechanismus, sondern man sieht auch sein Scheitern. Das Modell befindet sich in einer Krise, denn wie wir schon gesehen haben, hat es keines seiner bei Einführung erklärten sozialen Ziele erreicht: es gibt nicht mehr Beitragszahler, die Beitragsflucht hat nicht abgenommen und eine beträchtliche Zahl von Arbeitnehmern wird niemals eine ausreichende Rente bekommen. Diese Ergebnisse waren von Anfang an vorhersehbar, aber jetzt sind sie jeden Tag offensicht-licher und immer mehr gestehen dies in der Öffentlichkeit ein.

Es ist daher notwendig, die Sozialversicherung, als ein Merkmal des Wohlfahrtsstaates und ein unverzichtbares Instrument der Umverteilung und der sozialen Inklusion, wieder aufzuwerten.

Internationalisierung und Verfassungsrecht: Die Menschenrechte. Die Globalisierung erfordert und die Regionalisierung beinhaltet eine »internationale Reregulierung der Arbeit« ebenso sehr wie eine internationale gewerkschaft-liche Aktion. Anders kann man in der Globalisierung nicht effektiv handeln, erst recht nicht in unterentwickelten und peripheren Ländern wie denen in Lateinamerika. Es wird immer notwendiger, Sozialpolitiken und gewerkschaft-liche Aktionen in der Region und weltweit zu koordinieren.

Auf regionaler Ebene und im Fall der Europäischen Union erfüllt diese Funktion das, was die Europäer »Gemeinschaftsarbeitsrecht« nennen. Im Mercosur ist sehr wenig getan oder angedacht worden. Global passen die Menschenrechte perfekt zur von der Globalisierung beanspruchten Universalität. Wenn Investitionen, Handel und Produktion international werden, warum dann nicht auch die Rechte internationalisieren? Und welcher Teil des Rechts ist ontologisch universell, wenn nicht die Menschenrechte, die als jene essentiellen Rechte eines jeden Menschen verstanden werden, egal wo er sich befindet und was ihn auch immer in Form von Nationalität, Heimat oder Wohnort an einen bestimmten Staat – oder auch nicht – bindet?

Es gibt ein bedeutsames Bündel von Arbeitnehmerrechten, die fraglos Menschenrechte sind. Das neue postneoliberale Arbeitsrecht muss auf der Wiederherstellung des Sozialrechts basieren und dieses wiederum auf den Arbeitnehmerrechten als Menschenrechte, die durch die internationalen Normen und die Verfassungen der nationalen Gesetzgebung übergeordnet sind.

Das »Ende der Arbeit« und seine Folgen: Arbeitszeitreduzierung, garan-tierter Mindestlohn und Sozialversicherung. Die Überlegungen über »das Ende der Arbeit« sollten die fortschrittlichen Sektoren, jedenfalls im Moment, nicht entmutigen oder zu Untätigkeit bewegen, sondern dazu, sich auf die Reduzierung der Arbeitszeit zu konzentrieren. Mehr als vor dem Ende der Arbeit stehen wir vor einer Reduktion der Arbeitsstunden. Der technologische Fortschritt führt dazu, dass man weniger Arbeitsstunden für dieselbe oder eine höhere Produktion braucht. Parallel dazu erfordert der technologische Wandel eine bessere Ausbildung und häufigere Fortbildung.

Deshalb ist es unverzichtbar, über die Vorschläge nachzudenken, die das Arbeitsverhältnis der Zukunft als ein Arbeits- und Bildungsverhältnis auffassen, in dem sich in jedem Arbeitsleben Perioden effektiver Arbeit mit Perioden ohne Arbeit abwechseln, wobei letztere teilweise der Fortbildung und teilweise der Muße, der Kultur, dem gesellschaftlichen Engagement, etc. gewidmet werden.

In diesem Szenarium ist es ebenfalls unverzichtbar, den garantierten Mindest-lohn bzw. das Mindesteinkommen anzusprechen, die in Europa in einem gewissen Grad umgesetzt sind, in Lateinamerika aber nur in einigen zaghaften Ansätzen realisiert wurden. Natürlich erfordert dieses garantierte Mindesteinkommen mehr und nicht weniger soziale Sicherheit und damit nicht weniger, sondern mehr Sozialstaat.

Schlussfolgerungen

Es scheint klar, dass es zumindest eine gewisse Abschwächung des neoliberalen Drucks auf die Arbeitsbeziehungen gibt. Ebenso existieren deutliche Anzeichen für Veränderungen, auf die – und auf deren Grenzen – wir hingewiesen haben.

Einige dieser Veränderungen, die auf eine die Beschäftigten schützende Arbeitspolitik hindeuten, beruhen auf politischen Veränderungen, die durch den Aufstieg progres-siver Regierungen eingetreten sind. Aber das ist nicht in allen Fällen der Grund (es gibt Tendenzen zu größerem Arbeitnehmerschutz auch in Ländern mit rechten Regierungen); und nicht in allen Fällen, in denen die Regierungen den Arbeitnehmern nahestehen, geschah dies mit gleicher Breite und Intensität.

Wenn diese Diagnose richtig ist – und unter der Voraussetzung dass die Regierungsmacht als solche nicht das einzige Ziel der progressiven politischen Kräfte ist – dann müssten diese und die Gewerkschaften zu einigen der folgenden Aspekte Position beziehen.

Erstens: Die Entwicklung einer fortschrittlichen, postneoliberalen Arbeitspolitik kann sicher nicht nur die Wiederherstellung des vorherigen Systems sein, sondern muss den Arbeitnehmerschutz in der heutigen Zeit gewährleisten. Einige Elemente für solch ein Modell könnte die erneute Aufwertung der Kontinuität eines Arbeitsverhältnisses sein, die Fortbildung für Beschäftigte, die Weiterentwicklung des Arbeitsrechts als Teil der Menschenrechte und ihrer Wirksamkeit sowie die Wiederherstellung der sozialen Sicherungssysteme. Und darüber hinaus das unverzichtbare Handeln auf internationaler Ebene (nicht nur im Sinne von supranationalen gewerkschaftlichen Aktionen, sondern auch die Arbeit in und gegenüber den zuständigen internationalen Organisationen).

Zweitens: Die Analyse der konkreten Hindernisse für eine Arbeitspolitik zugunsten der Arbeitnehmer in jedem Land, denn offensichtlich muss die Strategie jeweils eine andere sein, je nach dem ob der Grund hauptsächlich in einer fehlenden parlamentarischen Mehrheit liegt, im Gewicht wirtschaftlicher Unternehmensinteressen, in vorgängigen politischen Abmachungen, in kulturellen oder ideologischen Widerständen, etc.

Drittens: Folglich auch die Analyse der Beziehung zwischen der Gewerkschaftsbewegung und der jeweiligen progressiven Regierung. Der Charakter dieser Beziehung ändert sich von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit. Da sie in einigen Ländern sehr eng ist und in anderen nicht, ist es wichtig sich darüber bewusst zu werden, inwieweit die Gewerkschaften tatsächlich in der Lage sind, Druck auf eine »befreundete Regierung« auszuüben – wenn dieser Druck manchmal durch die eigene Regierungsbeteiligung oder die Beteiligung an staatlichen Fonds vermittelt wird. Ebenso wäre es in entgegen-gesetzter Richtung wichtig jene Erfahrungen zu untersuchen, in denen die Gewerkschaften von den »befreundeten Regierungen« als eine Last empfunden werden, derer man sich gern entledigen würde (z.B. in Spanien und vielleicht in Chile). Theoretisch sollte die Gewerkschaftsbewegung jedenfalls immer einen ausreichenden Handlungsspielraum gegenüber einer progressiven oder »arbeitnehmerfreundlichen« Regierung behalten, was gleichzeitig eine Art gewerkschaftliche Nabelschau beinhaltet.

Viertens: Der Umstand, dass es selbst in Ländern mit konservativen Regierungen auf dem Wege der Rechtssprechung einige positive Veränderungen gegeben hat. Schließlich kann eine entschlossene Rechtsprechung genau so effektiv sein wie ein Gesetz.

Fünftens: Die verstärkte Arbeit auf internationaler Ebene ist aufgrund der Globalisierung absolut unverzichtbar, weil auf diesem Feld Normen erlassen, Entscheidungen gefällt und Urteile gesprochen werden, deren Wert nach und nach anerkannt wird und die noch größere Anerkennung verdienen.

Este artículo es copia fiel del publicado en la revista Nueva Sociedad , Januar 2008, ISSN: 0251-3552


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